Dieser Artikel ist Teil des Features „Das Berliner Schloss 2.0. Beton und Barock

Skulpturen erzählen Geschichte

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Wie das gesamte Gebäude des Berliner Schlosses spiegelte auch sein Skulpturenprogramm thematisch und stilistisch den Wandel der Epochen wider. Früh- und hochbarocke Skulpturen aus der Schlüter’schen Werkstatt standen neben spätklassizistischen und neobarocken Figuren auf den freistehenden Säulen vor den Portalen.

Als Teile der Fassaden und Portale krönten sie die Architektur und verwiesen auf den Anspruch des jeweiligen Hausherrn. So posierten im ursprünglichen Residenzhof, dem sogenannten Schlüterhof, auf den Säulen des Portals VI in Höhe der Belle Étage selbstverständlich das Who’s who des Olymp: Apoll, Jupiter, Antinous, Meleager, Herakles, Hermes gerahmt von Pax und der Schutzpatronin Preußens, der Borussia.

Auf den Seitenportalen I und V standen jeweils vier weibliche Skulpturen, die aus dem 18. Jahrhundert stammen. Über ihre Bedeutung sind sich die Kunsthistoriker bis heute nicht einig. Im Zuge der jetzigen Rekonstruktion setzt sich mehr und mehr die Auffassung durch, dass es sich schlicht um eine Art Freilichtmuseum klassischer Skulpturen handelt, die damals en vogue waren. So erkennen wir zum Beispiel die Flora aus der Sammlung Farnese aus Neapel oder die Heilige Susanna von François Duquesnoy aus der Kirche S. Mariadi Loreto in Rom wieder. Die Borussia ist fast eine Eins-zu-eins-Kopie der Mathilde von Tuszien von Bernini aus dem Petersdom in Rom.

1886 wurden unter Kaiser Wilhelm I. an der Westfassade, genauer auf den Säulen des Portals III, Skulpturen aufgestellt. Es standen am Außenportal die Herrschertugenden Stärke, Mäßigung, Gerechtigkeit und Weisheit; am Hofportal Liebe, Glaube, Hoffnung und Gebet, also die christlichen Tugenden. Schon 1848, also unter König Friedrich Wilhelm IV., waren auf den beiden Ecken der Attika Moses und Elias und am Tambour der Kuppel acht Propheten-Figuren aufgestellt worden.

Auf den Außenportalen der Fassade am Lustgarten, also gen Norden, und dem Schlossplatz, also Richtung Süden, wurden die barocken Skulpturen heruntergenommen und 1861 teilweise durch Skulpturen im neobarocken Stil ergänzt. Man sieht also, dass es kein einheitliches, durchgängiges Bildprogramm am Berliner Schloss gab. Vielmehr wurden unter jedem Herrscher andere Figuren hinzugefügt, die dem Zeitgeschmack oder der politischen Ausrichtung entsprachen.

Wer die Bildhauer der barocken Skulpturen aus dem Schlüterhof waren, ist nicht überliefert. Wir wissen aber, dass beispielsweise Sapovius, der einstige Danziger Lehrer Schlüters, an ihnen mitgearbeitet hat. Die späteren Figuren aus dem 19. Jahrhundert wurden unter anderem von den Bildhauern Wilhelm Stürmer, Albert Wolf, Carl Schüler und Hermann Schievelbein geschaffen. Man kann feststellen, dass zu allen Zeiten die besten verfügbaren Künstler für das Schloss gearbeitet haben. Das gilt auch für die heutige Rekonstruktion.

Die originalen Skulpturenfragmente sind Bücher der Zeitgeschichte für den, der sie lesen kann.

Ebenso wichtig wie das künstlerische Talent ist das genaue Studium der wenigen originalen Skulpturenfragmente des Schlosses. Sie sind Bücher der Zeitgeschichte für den, der sie lesen kann. Bearbeitungsspuren auf den Oberflächen lassen Schlüsse auf die verwendeten Werkzeuge und die Handwerkstechniken zu. Fugenflächen, verbleite Eisenanker und Vergusskanäle sowie Wölfe zum Hochziehen liefern Hinweise zur Konstruktion und Versetztechnik. Die Bildhauer, die in der heutigen Schlossbauhütte arbeiten, orientieren sich sowohl bei der Gesamtkomposition wie auch bei den Details an den erhaltenen Originalen – etwa den Porträtreliefs der römischen Könige Romulus und Numa am Portal V im Schlüterhof. Diese sind noch im Original erhalten und zeigen die Virtuosität der barocken Künstler im Umgang mit der geometrischen Strenge. Ab 2019 werden diese beiden Stücke sowie zehn der noch erhaltenen Kolossalskulpturen im Skulpturensaal des Humboldt Forums zu sehen sein.

Autor*in
Bertold Just

Bertold Just † war Leiter der Schlossbauhütte der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss. Modell- und Steinbildhauer haben dort die Schmuckelemente der barocken Fassade modelliert und im traditionellen Punktierverfahren in Sandstein gehauen.