© Carola Lentz
Vergangene Termine
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Prof. Dr. Carola LentzSeniorforschungsprofessorin für Ethnologie an der Johannes Gutenburg-Universität Mainz, ehemalige Präsidentin des Goethe-Instituts.

Vor fast vier Jahrzehnten wurde Carola Lentz in eine ghanaische Großfamilie aufgenommen. Wie in vielen afrikanischen Familien haben sich hier Bildungswege und Berufskarrieren, Wohnorte und Lebensstile im Lauf der Zeit weit auseinanderentwickelt. Umso wichtiger für den Zusammenhalt der Großfamilie werden die Erinnerung an gemeinsame Ahnen und regelmäßige Besuche im Ursprungsdorf. Dabei hat die jüngere, schulgebildete Generation andere Ansprüche an eine gute Familiengeschichte als ihre bäuerlichen Verwandten auf dem Land. Die erinnerte Familienvergangenheit ist darum umstritten, und einiges wird von manchen als „Geheimnis“ markiert. Neu sind auch die Erinnerungspraktiken und ihre Medien. Gedenkgottesdienste treten an die Stelle von Ahnenopfern. Gezeichnete Stammbäume, Ahnentafeln und Fotoalben ergänzen die mündlichen Erzählungen. Der Vortrag erkundet diese Veränderungen und die Konflikte,
die damit einhergehen. Familiengeschichte, so ein Fazit, kann nicht nur vereinen, sondern auch spalten.

Carola Lentz ist Ethnologin und Seniorforschungsprofessorin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Migration, Ethnizität und Nationalismus, Kolonialismus und Dekolonisierung, staatliche und familiäre Erinnerungspolitik sowie Bildungsbiografien und Mittelklassen in postkolonialen Gesellschaften.

Sie studierte Soziologie, Politikwissenschaft, Germanistik und Pädagogik in Göttingen und Berlin, promovierte 1987 an der Leibniz Universität Hannover und habilitierte sich 1996 an der Freien Universität Berlin. Ihre akademische Laufbahn führte sie über Professuren in Frankfurt und Mainz, wo sie das Institut für Ethnologie und Afrikastudien maßgeblich prägte. Von 2020 bis 2024 war sie Präsidentin des Goethe-Instituts und setzte sich für kulturellen Austausch und internationale Verständigung ein. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf sozialer Zugehörigkeit, Mobilität und Erinnerungskultur in Westafrika. Für ihr Buch Land, Mobility and Belonging in West Africa erhielt sie 2014 den Melville J. Herskovits Prize.

Sie ist Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Zur Ringvorlesung

Geheimnisse sind von großem gesellschaftlichem Wert – von der ärztlichen Schweigepflicht bis hin zum Schweigerecht des Beklagten vor Gericht. Artikel 16 der UN-Kinderrechtskonvention „Schutz von Privatsphäre und Ehre“ gesteht Kindern das Recht zu, Geheimnisse zu haben. Hinter Privatgeheimnissen verbergen sich meist Familiengeheimnisse. Sie sind weit mehr als gehütete Informationen. In ihnen offenbart sich das Bedürfnis, die eigene Integrität und Privatsphäre und damit auch andere zu schützen, Intimität zu bewahren. Familiengeheimnisse können Ausdruck von Scham, der Angst vor Blöße sein, sie zeugen aber auch von dem Wunsch nach sozialer Integration unter dem Druck gesellschaftlicher Konventionen und Moralvorstellungen. Sie sind Teil der biografischen Erfahrung eines jeden Menschen und fast jeder Familie, und sie wirken individuell sehr unterschiedlich nach.

Erzählen und Verschweigen von Geheimnissen machen sichtbar, wie Individuen Einfluss auf ihre Lebensgeschichten nehmen, emotionale Beziehungen gestalten und gesellschaftliche Normen verhandeln. Zugleich zeigt die kultur- und sozialwissenschaftliche Forschung, dass Geheimnisse weit über das Private hinausreichen: Sie erfüllen grundlegende gesellschaftliche Funktionen, indem sie Grenzen markieren, Zugehörigkeiten stiften und soziale Ordnungen stabilisieren.

In den ersten Terminen dieser Ringvorlesung wenden wir uns daher den vielfältigen Facetten und Funktionen des Geheimnisses zu – von kulturellen Techniken des Verbergens über rechtliche Fragen des Schutzes von Privatheit, insbesondere bei Kindern, bis hin zur Verhandlung und Inszenierung von Familiengeheimnissen in filmischen oder theatralen Inszenierungen.

So entsteht ein Panorama, das die Bedeutung des Geheimen – als verbindende und stabilisierende wie zugleich trennende und destabilisierende Kraft – in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen sichtbar macht und seine kulturelle und soziale Wirkmacht in unterschiedlichen Kontexten nachvollziehbar werden lässt.

 

Weitere Termine im Wintersemester 2025/2026

21.01.2026
Prof. Dr. Carola Lentz (Johannes Gutenburg-Universität Mainz, Mainz, Institut für Ethnologie und Afrikastudien (ifeas), Mainz) „Ahnentafeln, Familiengeheimnisse und eine neugierige Ethnologin in Westafrika“

11.02.2026
Dr. Michael Slepian (Columbia Business School, New York)
„Das geheime Leben der Geheimnisse“

18.02.2026
Univ.-Prof. Dr. Annette Schad-Seifert (Heinrich Heine Universität Düsseldorf, Institut für Modernes Japan, Düsseldorf)
“ „Solo Weddings“ als Glücksgeheimnis in Japan“

04.03.2026
Bert Rebhandl (Freier Filmforscher, Berlin)
„Ersatz/Familie – Lebensgemeinschaften nach der natürlichen Abstammung. Aspekte aus der populären Kultur“

18.03.2026
Dr. Lotte Warnsholdt (MARKK Museum am Rothenbaum, Hamburg)
„Kulturtechniken des Schweigens als Formen der Sorge“

Die Vortragsreihe findet im Rahmen einer Kooperation des Institutionsverbunds im Humboldt Forum statt.

Konzeption:

Prof. Dr. Daniel Tyradellis (Humboldt-Universität zu Berlin)

Dr. Alia Rayyan (Humboldt-Universität zu Berlin)

Dr. Laura Goldenbaum (Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss)