Dieser Artikel ist Teil des Features „… eine Welt, in der Kolonialität nicht mehr möglich ist.

Was sagen die Akteure?

11 Min Lesezeit

von Hartmut Dorgerloh, Lars-Christian Koch, Sabine Kunst und Paul Spies

Von gesellschaftlichen Initiativen seit langem eingefordert, ist diese Auseinandersetzung als Auftrag in den Koalitionsverträgen von Bund und Land politisch formuliert. Welche Wege kann es geben an diesem Ort, mit Kolonialismus und Kolonialität umzugehen? Wie findet man zu einem gemeinsamen Verständnis, zu einer gemeinsamen Sprache und wie gelingt ein Dialog – nach innen und nach außen? Davon wird in diesem Feature die Rede sein. Es ist als Unterfangen mit offenem Ausgang zu behandeln.

Zum Auftakt sprach das Redaktionsteam des Features mit den Leitungen der vier Akteure des Humboldt Forums, die es mit Ihren Programmen maßgeblich prägen werden: Hartmut Dorgerloh (Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss), Lars-Christian Koch (Ethnologisches Museum Berlin, Museum für Asiatische Kunst und Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss), Sabine Kunst (Humboldt-Universität zu Berlin) und Paul Spies (Stiftung Stadtmuseum Berlin).

Grundlegend zur Behandlung der Themen Kolonialismus und Kolonialität ist die Frage, was das Humboldt Forum als Akteursgemeinschaft sein will.

Paul Spies: Die Akteure dieses Hauses versuchen, ein Bündnis zu etablieren, sich gemeinsam zu verbinden. Mit der Eröffnung fängt eigentlich der Prozess an, indem wir sagen: Das ist was wir haben, aber wie soll es eigentlich sein? Wir stellen Fragen, mit Behauptungen halten wir uns zurück.

Sabine Kunst: Dazu gehört auch, Diskurs und Auseinandersetzung, Perspektivwechsel und das sich gegenseitig Zuhören als Elemente des „Werdens“ des Humboldt Forums zu begreifen.

Lars-Christian Koch: Für uns als Museen bedeutet das erstmal eine sehr deutliche Öffnung. Eine Öffnung, die nicht nur ein europäisches Publikum betrifft, sondern ein globales Publikum. Wir müssen sehr viel präsenter werden in den aktuellen globalen Diskursen und weiter in Dialoge treten.

Hartmut Dorgerloh: Und wir sind ein Transformationsraum, um Themen aus spezialisierten Diskursen unter die Leute zu bringen. Das heißt auch, dass wir es anders machen müssen als im akademischen und aktivistischen Raum. Wir müssen uns überlegen, wie kriegen wir das übersetzt?

Ein Thema, das von Beginn an Debatten auslöste und heute auch verstärkt in Verbindung mit kolonialer Geschichte gesehen wird, ist die Rekonstruktion der Fassaden des historischen Berliner Schlosses. Sie und die Kuppel mit christlichem Kreuz demonstrieren Machtanspruch und stehen in einem Spannungsverhältnis zu den Perspektiven und Haltungen einer diversen Gesellschaft.

Sabine Kunst: Für mich ist es ein Ort mit Brüchen und hoher Ambivalenz. Interessant ist er in Hinblick auf die dortige Rolle von Wissenschaften im Lauf der Jahrhunderte, die Topografie der Macht. Die hier Anwesenden haben aber auch nicht an der Grundentscheidung mitgewirkt, dieses Schloss mit einer teilweise rekonstruierten Fassade in dieser Form wiederherzustellen.

Paul Spies: Wenn man Dekolonisierung will, dann muss man dezentral denken, der Ort ist also schwierig – eben weil er so zentral ist. Wir sind da, um in die Diskussion zu gehen über die Schwierigkeit dieses Gebäudes. Wir werden den Bau nicht verteidigen. Was für eine mutige Tat der Bundesrepublik, die beste Stelle im Land solch einer Widersprüchlichkeit zur Verfügung zu stellen.

Hartmut Dorgerloh: In diesem Spannungsverhältnis findet auch die Programmarbeit statt. Man kann den Inhalt nicht losgelöst von der Architektur sehen, auch wenn das sehr moderne Innere und die ganzen Inhalte formal erstmal nichts mit dem Bau zu tun haben mögen. Was immer auf diesem zentralen Platz in der Hauptstadt passierte, hatte eine besondere symbolische, politische und historische Dimension – bis hin zu den gesellschaftlichen und politischen Prozessen, die 2002 zum Beschluss der Rekonstruktion der Fassaden geführt haben. Wir haben es hier aber auch mit einem Ort der radikalen Auslöschung geschichtlicher Zeugnisse und den damit verbundenen Erinnerungs- und Aufarbeitungsdebatten zu tun. Das sind alles Facetten, die wir thematisieren müssen, wenn wir in diesem Haus Programm machen, und ich frage mich, wie wir die Widersprüche und Gegensätze mit Blick auf die Architektur und die Geschichte des Ortes produktiv für unsere Programmarbeit machen können. Das gilt sowohl mit Blick das große Themenfeld Kolonialismus und Kolonialität, aber auch mit Blick auf die vielen Menschen, die hier zusammenkommen werden und die keinen biografischen Bezug zu diesem Platz haben.

Lars-Christian Koch: Unsere Ausstellungen und Ausstellungsthematiken sollten sich daran messen, wie wir mit diesen Zusammenhängen umgehen. Gleichzeitig, und das war eine der Grundideen des Projekts Humboldt Forum, bringen wir den Bereich des Globalen in der Kunst und der Ethnologie sehr stark in die Mitte der Stadt.

Das Humboldt Forum nach den Brüdern Wilhelm und Alexander von Humboldt zu benennen war eine politische Absicht und eine programmatische Setzung für das Haus, die heute durchaus kritisch betrachtet wird. Werk und Biografien der Brüder werden heute stärker als zuvor in den Zusammenhängen ihrer Zeit und speziell den kolonialen Kontexten verortet. Was resultiert daraus in Bezug auf das Verhältnis zu den Namensgebern?

Sabine Kunst: Wir sollten nicht negieren, dass die Humboldt-Brüder erstens Kinder einer privilegierten Schicht und zweitens ihres Zeitalters waren. Es liegt aber auch an uns, das Potenzial, das beide Brüder mit ihrer Forschung geschaffen haben, ins 21. Jahrhundert zu übersetzen, z.B. die Idee der Vernetzung, den globalen und transdisziplinären Ansatz Alexander von Humboldts, der für uns gerade heute wieder sehr interessant ist.

Hartmut Dorgerloh: Die Namensgebung verstehe ich als Aufforderung, wie die Humboldts in ihrer Zeit heute engagiert, neugierig und offen über die globalen Zusammenhänge der Gegenwart und die Aufgaben für eine gemeinsame Zukunft nachzudenken. Unser Ziel ist nun, die historischen Werte, für die die Brüder Humboldt stehen, und deren Kontexte, mit heutigen Fragestellungen zu konfrontieren.

Paul Spies: Wir dürfen nicht bei den Humboldts stehen bleiben, sondern müssen auch in den Blick nehmen, was sie erforscht haben und welche Folgen das hatte. Mit ihrer Arbeit wie der Kartierung und der Bestimmung von Bodenschätzen waren sie auch Wegbereiter der Kolonialisierung durch den Westen. Was ist durch die Perspektiven auf die Brüder Humboldt und ihre Welterzählungen verloren gegangen, was ist schiefgegangen? Jetzt geht es darum, dass man dies nicht nur erkennt und benennt, sondern auch ganz gezielt die Perspektiven wechselt und denjenigen zuhört, die die Folgen kolonialer Strukturen bis heute zu tragen haben.

Bald werden im Humboldt Forum, in der Mitte Berlins, Teile der ethnologischen Sammlungen der Staatlichen Museen gezeigt. Seit vielen Jahren schon wird darüber debattiert, welche Folgen die Provenienz der Objekte, die großenteils aus kolonialen Kontexten stammen, für das Humboldt Forum und den Umgang der Akteure mit ihnen hat. Die Komplexität der historischen, politischen, rechtlichen, ethischen und musealen Zusammenhänge wirft die Frage nach dem Selbstverständnis des Humboldt Forums auf, als Ort, der auch materielles Erbe aus vielen Regionen der Welt präsentiert.

Sabine Kunst: Objekte bündeln Wissen, deshalb ist es so wichtig, dass sie allen zur Verfügung stehen, an ihnen geforscht und gelernt werden kann, denn Wissen sollte prinzipiell möglichst vielen zugänglich sein. Der Aspekt der Verfügbarkeit spielt daher bei allen Sammlungen eine zentrale Rolle. Was nachweislich unrechtmäßig erworben ist, muss auch an den rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben werden, sofern man ihn ermitteln kann. Die Provenienzforschung, das Wissen um die Herkunft des Objekts, ist dabei von zentraler Bedeutung. Im Humboldt Labor wird jeder Gegenstand darüber befragt, wo er herkommt, was seine Geschichte ist, wie er den Weg in die Sammlungen gefunden hat.

Paul Spies: Ich bin auch der Meinung, dass die Sammlungsgeschichte Berlins ein ganz wichtiges Thema ist, wozu man sich immer wieder verhalten muss, und dabei geht es nicht nur um die Gesellschaft, zum Beispiel in Tansania, sondern auch darum, wie Objekte aus Tansania nach Berlin gekommen sind und wie wir heute damit umgehen. Wie wir etwa mit Menschen aus Tansania, die hier in Deutschland leben und sich für die Rückgabe dieser Objekte einsetzen, in den Dialog treten und einen Rückgabeprozess gemeinsam gestalten.

Lars-Christian Koch: Wir werden die Objekte in den Ausstellungen derart zeigen, dass die Kolleg*innen und Partner*innen aus der Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu Wort kommen und der Dialog als Prozess in den Ausstellungen ersichtlich wird. Als Museum möchten wir keine Begründung, sondern eine Perspektive liefern und zeigen, dass internationale Kooperationen im Zentrum stehen und darüber auch Rückgaben möglich sind. Es ist keine ausschließende Sache, dass nur weil etwas im Humboldt Forum ausgestellt wird, es dann so bleibt. Darum kann es nicht gehen.

Die Vergangenheit des europäischen Kolonialismus und dessen Folgen in der Gegenwart sind breite gesellschaftliche Themen, die Debatten und Verständigung mit vielen Personen, Gruppen und Institutionen erfordern. Wie sehen Sie als Akteure im Humboldt Forum diesbezüglich Ihre Rolle und den Beitrag des Humboldt Forums, sich innerhalb der Debatten zu positionieren?

Hartmut Dorgerloh: Wir möchten die Inhalte des Hauses gemeinsam mit der Stadtgesellschaft sowie nationalen und internationalen Perspektiven gestalten, Menschen anbieten, das Humboldt Forum zu nutzen. Wir möchten Räume schaffen, in denen unterschiedliche Realitäten gesehen und gehört werden können. Damit verbunden sind natürlich kuratorische Entscheidungen und Entscheidungen, die wir in der Akteursgemeinschaft treffen müssen. Ziel ist, nicht in symbolischen Aktionen stecken zu bleiben, sondern einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten.

Paul Spies: Zwar teilen wir Akteure uns manche Verantwortlichkeiten auf, dennoch bin auch ich der Meinung, dass das alles zusammengehört und zusammen gedacht werden muss. Wir müssen konkreter besprechen, wer welche Aufgaben und Themen übernimmt und welche wir gemeinsam machen.

Lars-Christian Koch: Was die Themenschwerpunkte für die nächsten Jahre anbelangt, haben wir eine klare Haltung: Kolonialismus und Kolonialität sind essenziell wichtige Themen, für uns aus wissenschaftlicher Sicht, wie für die Zivilgesellschaft. Zugleich dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass die Debatten global in unterschiedlicher Ausprägung geführt werden, auch das gehört zur Verständigung über diese Fragen dazu.

Sabine Kunst: Themen wie Kolonialismus, Kolonialität und Rassismus werden an der HU sehr breit diskutiert und erforscht, in verschiedenen Forschungsprojekten und mit sehr unterschiedlichen Perspektiven. Wir hoffen, dass wir im Humboldt Forum diese Diskussion auch auf breiterer Ebene führen können.

Das Humboldt Forum befindet sich, wie wir gerade auch gemeinsam nochmal erörtert haben, am Anfang eines langen Prozesses. Können sie in zwei drei Sätzen sagen: Wofür soll das Humboldt Forum aus Ihrer Sicht in fünf Jahren stehen, was wünschen Sie sich?

Hartmut Dorgerloh: Ich würde mir wünschen, dass sich alle Menschen ermächtigt fühlen mitzugestalten, und dass die Inhalte des Hauses sowohl für die Stadtgesellschaft als auch für unsere internationalen Partner*innen in ihren Diversitäten gleichermaßen eine Relevanz haben. Denn nur so können wir gemeinsam Antworten auf Fragen unserer Zeit finden.

Sabine Kunst: Für uns ist wichtig, aus der Wissenschaft in eine neue nationale und internationale Gesprächskultur zu kommen, zu den Inhalten, die wir dort aufrufen, in ganz breiter Folge. Wir haben in den letzten Jahren eine Menge aufgebaut, eine Lehre, die nicht klassisch auf die Wissenschaft hinausgelegt ist, sondern auf die Vermittlung und Gesprächsfähigkeit aus der Wissenschaft an andere. Das Humboldt Forum wäre damit unser Erprobungsfeld, ob wir mit unseren Methoden richtigliegen.

Paul Spies: Für mich ist das Humboldt Forum gelungen, wenn in fünf Jahren dieses neue Format der Zusammenarbeit unterschiedlicher Institutionen unter einem Dach wirkt und durch die Zusammenarbeit mit Außen abwechslungsreich ist. Es wird in fünf Jahren vielleicht nicht voll gelingen, aber ich wünsche mir, dass es da auf gutem Wege ist.

Lars-Christian Koch: Ich schließe mich den Vorredner*innen an. Außerdem wünsche ich uns, dass die gesamte Arbeit, die wir wissenschaftlich betreiben, eine stärkere globale Vernetzung erreicht. Dass wir sehr viel intensiver mit den Herkunftsgesellschaften arbeiten können und dadurch ganz neue Formate der Präsentation entwickeln werden.

Autor*innen
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Hartmut Dorgerloh

Prof. Dr. Hartmut Dorgerloh ist Generalintendant und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss. Der Kunsthistoriker und Kulturmanager lehrt seit 2004 als Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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Lars-Christian Koch

Prof. Dr. Lars-Christian Koch ist seit Anfang 2018 Direktor für die Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin im Humboldt Forum. Der Musikethnologe war zuvor komissarischer Leiter des Ethnologischen Museums.

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Paul Spies

Paul Spies ist Kunsthistoriker und Archäologe der Antike. Er war seit 2009 Direktor im Amsterdamer Stadtmuseum und ist seit 2016 Direktor des Stadtmuseums Berlin und Chef-Kurator des Landes Berlin im Humboldt Forum.

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Sabine Kunst

Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst ist seit 2016 Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin. Vor Ihrer Inauguration war Frau Kunst Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Brandenburg.