Kultur - Macht - Kommerz
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kostenfrei |
7.10.: Durchgehend, außer zwischen 14:00-16:30 und 17:00 bis 19:00 und am 8.10.: Durchgehend, außer zwischen 11:00 -13:30 und 14:00-15:30 |
Deutsch |
Saal 1, EG |
Gehört zu: Post/Sozialistische Paläste |
Fernab von Berlin stehen die Kulturpaläste in Bukarest, Kyjiw, Prag, Sofia und Warschau seit Jahrzehnten im städtischen Raum. Nach der Weltenwende Anfang der 90er-Jahre hat sich die Nutzung und Akzeptanz der großen Gebäude massiv verändert. Diese Veränderung fängt die Videoinstallation „Kultur – Macht – Kommerz“ ein. Mit ihren Arbeiten zeigen die zeitgenössischen Videokünstler*innen Dora Huiban (Bukarest), Yarema Malashchuk und Roman Khimei (Kyjiw), Haruna Honcoop (Prag), Voin de Voin (Sofia) und Karolina Pawelczyk und Jędrek Filuś (Warschau) ihren persönlichen Blick auf die Kulturpaläste in ihren Städten. Denn viele Paläste sind heute kommerziell genutzte Gebäude für Veranstaltungen, Orte für Kunst und Kultur oder Parlamentssitz und werden damit ganz anders genutzt als von ihren Erbauer*innen beabsichtigt. Die Videos zeichnen ein zeitgenössisches und künstlerisches Bild der kulturellen, architektonischen und zivilgesellschaftlichen Nutzung der Häuser.
Jede außergewöhnliche Architektur hat eine bewegte Vergangenheit, die in jedem einzelnen Stein oder Betonblock weiterhin präsent ist.
Der ehemalige Prager Kulturpalast ist heute das Kongresszentrum. Er wurde innerhalb von fünf Jahren (1976-1981) auf dem Höhepunkt der 20-jährigen der sogenannten „Normalisierung“ unter dem kommunistischen Regime nach der Besetzung der ehemaligen Tschechoslowakei errichtet. Der riesige Palast mit 50 Aufzügen und einem Puzzle von 70 Versammlungsräumen, Klubs und großen Sälen, darunter der riesige Plenarsaal mit 2764 Plätzen, wurde für die Versammlungen und regelmäßigen Sitzungen der kommunistischen Partei genutzt und war daher bei der „normalen“ Bevölkerung unbeliebt oder sogar verhasst. Seine unbeholfene, breite, schildkrötenartige Architektur im neofunktionalistischen Stil wurde häufig als „Moby Dick“ (wegen seiner enormen Größe), „Massholder“ (im Sinne eines Gasspeichers, Lidojem auf Tschechisch) oder „Pakul“ (als Abkürzung des Namens) bezeichnet.
Ich habe ihm den Spitznamen Pa-cool gegeben, weil ich immer noch den eisigen sibirischen Wind spüre, der durch die kilometerlangen Korridore weht, die das Labyrinth der einzelnen Stockwerke, Säle und Zimmer dieses imposanten Gebäudes miteinander verbinden. Die kühle Luft wurde durch die Inneneinrichtung mit weiten Räumen, niedrigen Decken und vielen grandiosen Kronleuchtern, schweren Möbeln, Marmor- und Holztafeln, Wandteppichen, Glasobjekten und anderen künstlerischen Dekorationen verstärkt. Alles strotzt vor protziger Eleganz, gestaltet von den besten tschechischen Künstlern des späten 20 Jahrhunderts. Das einzige natürliche Vergnügen an diesem kühlen Ort ist der atemberaubende Blick auf das weite Panorama der Prager Burg und das Stadtbild, das man von den vorderen Glaswänden aus bewundern kann.
Die Lage in der Nähe der Nuselbrücke, die häufig als Selbstmordbrücke bezeichnet wird und über die eine stark befahrene Autobahn führt, sowie die größenwahnsinnigen Ausmaße des Raumes tragen dazu bei, dass der Zauber dieses Ortes bis heute besteht.
Haruna Honcoop ist eine tschechisch-japanische Filmemacherin, Absolventin der Film- und Fernsehschule der Akademie der darstellenden Künste in Prag (FAMU), wo sie derzeit als Doktorandin über den unabhängigen chinesischen Dokumentarfilm schreibt. Ihr Filmessay Built to Last – Relics of Communist-Era Architecture (2017) wurde mit dem Preis des Archfilm Lund Festivals ausgezeichnet. Ihr Kurzfilm True or False (2016) gewann einen Preis beim This Human World Festival in Wien. Der Dokumentarfilm Olympic Halftime, der sich mit der Architektur und dem Urbanismus der olympischen Städte in Peking, Tokio, Paris und Athen beschäftigt, und ein weiterer Spielfilm in deutsch-französischer Koproduktion Annexions werden beide 2023 uraufgeführt. Derzeit entwickelt sie einen neuen Dokumentarfilm I Am Taiwanese über die politischen Identitäten von Taiwaner*innen und Osteuropäer*innen.
Am 31. Dezember schlug eine russische Rakete nur etwa 100 Meter neben dem Palast Ukraina ein und sprengte dessen Fassade und Fenster. Seitdem gelten für die Konzerte in Kiews größtem Veranstaltungsort neue strenge Sicherheitsvorschriften. Die Besucher*innen müssen sich sofort nach dem Auslösen des Luftschutzalarms in den nahe gelegenen Luftschutzkeller begeben, der sich an der nächsten U-Bahn-Station befindet.
Ein roter Faden, der einen bei jeder Massenveranstaltung verfolgt, ist die ungewollte Spannung, die heutzutage mit jedem in der Ukraine gekauften Ticket einhergeht.
Die in Kyjiw lebenden Künstler und Filmemacher Roman Khimei und Yarema Malashchuk, die seit 2013 an der Grenze zwischen bildender Kunst und Kino zusammenarbeiten, haben ihren Abschluss als Kameramänner an der Kyjiwer Universität für Theater, Kino und Fernsehen gemacht. In ihren Filmen und Videoinstallationen untersuchen sie das Bild der Menschenmenge als eigenständige Figur in Geschichte und Kultur. Sie wurden mit dem Hauptpreis des PinchukArtCentre Prize (2020) und dem VISIO Young Talent Acquisition Prize (2021) ausgezeichnet. Ihr erster Dokumentarfilm „New Jerusalem“ erhielt den Special Mention Award bei den Kharkiv MeetDocs. Ihre Videoarbeiten befinden sich in den Sammlungen des Museums für zeitgenössische Kunst Antwerpen, der Frac Bretagne und der Fondazione In Between Art Film. Khimei und Malashchuk sind Mitglieder der Kunstgruppe Prykarpattian Theater, die derzeit an dem Projekt Theater of Hopes and Expectations arbeitet.
In „All I wanted was to break your walls“ spielt Rob Wasiewicz einen begeisterten Fremdenführer in einem postsowjetischen Kulturpalast. Seine tiefe Verbundenheit mit dem Gebäude grenzt an Besessenheit, denn er verliebt sich in dessen architektonische Pracht. Seine Welt gerät jedoch aus den Fugen, als er erfährt, dass der Palast vom Abriss bedroht ist und er verzweifelt versucht diesen zu retten. Obwohl er sich bemüht, Versammlungenm und Debatten zu organisieren, findet sich niemand, der sein Anliegen unterstützt. In seiner Verwzeiflung beschließt er, eine letzte Führung zu veranstalten, aber nur zwei Teilnehmer schließen sich ihm in letzter Minute an. Gemeinsam erkunden sie die verborgenen Schätze des Palastes und knüpfen dabei unerwartete Bande.
Regie: Karolina Pawelczyk & Jędrek Filuś
Kamera: Magdalena Bojdo
Schnitt: Agnieszka Białek-Zaborowska
Kostüme: Taso Jęchorek, Kuba Wydra
Musik: Tymek Bryndal
Farbkorrekturen: Rafał Kruszka
Grafikdesign: Aleksandra Ołdak
Mitwirkende: Rob Wasiewicz, Magda Szpecht, Kuba Wydra
Karolina Pawelczyk ist bildende Künstlerin. Sie schafft vielschichtige, performative und narrative Rauminstallationen unter Verwendung von Video, Skulptur, Ton und anderen Medien. Ihre Arbeiten analysieren die Paradoxien der Moderne und die Spannung zwischen der Notwendigkeit, neue Formen politischen und ethischen Handelns zu finden (die einer technologisch vermittelten Welt angemessen wären) und der Trägheit unserer etablierten und algorithmisierten Denkmuster.
Sie ist Absolventin der Studiengänge Fotografie an der Universität der Künste in Poznań und Medienkunst an der Akademie der Schönen Künste in Warschau. Sie ist Mitglied des New Centre for Research and Practice und arbeitet mit dem Büro für postkünstlerische Dienstleistungen zusammen.
Ihre Arbeiten wurden unter anderem in der Nationalen Kunstgalerie Zachęta in Warschau, im Museum für Moderne Kunst in Warschau, in der Städtischen Galerie Arsenal in Poznań, auf dem Short Waves Festival in Poznań und im Rahmen des UNESCO Creative Cities Network in Amarante (Portugal) gezeigt. Darüber hinaus nahm sie 2021 am Mentoring-Programm der ING Polish Art Foundation teil und war Finalistin der 19. Hestia Artistic Journey.
Jędrek Filuś ist Künstler, der an verschiedenen Ausstellungen, Kunstforschungsprojekten und kreativen Kooperationen in der Welt des Theaters und des Films beteiligt war. Dabei arbeitet er oft an der Grenze zwischen Kunst und Politik. Seine Arbeit dreht sich um die Erforschung von Träumen, Sehnsüchten und alternativen Zukünften, wobei er sich mit Identitätspolitik auseinandersetzt und subtil in das Alltagsleben eingreift. Diese Projekte haben ihn in Städte wie Berlin, London, Nottingham, Poznan, Stockholm, Tiflis und Warschau geführt. Einige von ihnen fanden an so bekannten Orten wie der Tate Modern, POLIN und dem Malta Festival statt, während andere das Ergebnis von Basis-Kollaborationen innerhalb eng verbundener Gemeinschaften waren.
Der Nationale Kulturpalast in Sofia wurde 1981 anlässlich der 1300-Jahr-Feier Bulgariens eröffnet. Sein Bau wurde auf Anregung von Ljudmila Schiwkowa, der Tochter des kommunistischen Führers Todor Schiwkow, initiiert. Statt der geplanten zwölf Jahre für die Fertigstellung wurde er in den bemerkenswerten vier Jahren gebaut, um den Wunschtermin zu erfüllen. Es wurde mehr Stahl verbaut als beim Bau des Eiffelturms. Zahlreiche Künstler*innen wurden beauftragt, Werke zu schaffen, die Jahrhunderte überdauern sollen: Wandmalereien, Skulpturen, Mosaike und Gemälde, die das kulturelle und historische Erbe des Staates darstellen.
Der Film „The Ghost of Culture“ bewegt sich zwischen der utopischen Idee eines universellen Kulturpalastes, in dem verschiedene Kunstformen und -disziplinen entstehen, um den Bedürfnissen eines größeren Publikums gerecht zu werden. Der Film verwendet Archivmaterial von der Baustelle aus dem Jahr 1977 in Kombination mit der tatsächlichen Eröffnung des Palastes. Das geschäftige Treiben und die Bewegung der Menschen zeichnen ein Bild des Wohlstands und des nationalen sozialistischen Stolzes.
Wir schreiben das Jahr 2023 – der Nationale Kulturpalast, auch NDK genannt, ist ein Geisterhaus – halb privat, halb öffentlich, wo das Betreten zum Hindernis wird. Der zweite Teil des Films zeigt die Dynamik der Machtstrukturen in der Gegenwart auf. Dabei wird deutlich, dass hierarchische und autoritäre Prinzipien immer noch bestehen und von denjenigen, die in den höchsten Positionen sitzen, als aktives Werkzeug und zur Unterdrückung von Bürger*innen und Arbeitnehmer*innen eingesetzt werden.
Der dokumentarische Stil der Kamera fängt den gegenwärtigen Stand der Dinge ein und gräbt sich in die komplexe Erzählung oder Umleitung oder die Unfähigkeit, Zugang zu finden oder zu entlarven. Der Film lässt uns mit dem Schatten von beidem zurück – dem Nutzen und dem Zweifel, was gibt es aufzudecken?
Es bleiben Fragen offen: Was ist der Sinn oder Zweck dieses Monumentalgebäudes wie des NDK, das heute selbst zum Gespenst wird, das an die Vergangenheit erinnert und auf die Gegenwart blickt?
Was stellt es dar und wem dient es? Welchen Stellenwert hat die Kultur im gegenwärtigen Status quo?
Regisseur: Voin de Voin
Kameramann: Rayna Teneva
Drohnenaufnahmen: Dimitar Yankov
Video-Editor: Michaela Lakova
Musik: „Chaotic Sunrise“ von Violetov General
Archivaufnahmen: „Nationaler Kulturpalast feiert 40 Jahre“
Култура.БГ/Kultur.BG, ausgestrahlt am 12.04.2021, Bulgarisches Nationalfernsehen (BNT)
„Symbole des NDK“, ausgestrahlt am 25.02.2022, Bulgarisches Nationalfernsehen
In Auftrag gegeben von Humboldt Forum und
Finanziell unterstützt von der Singer-Zahariev Foundation
Voin de Voin, geboren 1978, lebt und arbeitet in Sofia. Er absolvierte seinen Master am Das Arts – Institute of the Advance Research in the Performing Arts und seinen Bachelor an der Gerrit Rietveld Academy und erlangte darüber hinaus ein Diplom von der SNDO – School for New Dance Development, Amsterdam.
Seit 2016 betreibt er zusammen mit Marie Civikov den unabhängigen Kunstraum Æther in Sofia, mit einer Außenstelle in Den Haag – Æther Haga. Daneben organisiert und kuratiert er die SAW Sofia Art Week, die seit 2016 jährlich stattfindet. Zusammen mit der niederländischen Kuratorin und Pädagogin Lisette Smith gründete er 2020 eine Plattform für alternative Bildung, die School of Kindness. Æther ist Partner der Shloss Solitude Academy, Stuttgart, des Erweiterungs- und Austauschprogramms Eastern European Networks zwischen 2018 und 2021.
Voin de Voin arbeitet in verschiedenen Bereichen der bildenden Kunst, von der Performance bis zur Installation, unter Einbeziehung seiner Forschungen zu kollektiven Ritualen und menschlichem Verhalten, Gender Studies, Ahnenwissen, Psychogeographie, Soziologie und Parapsychologie. Er zelebriert Kunst als Aktivismus. Seine Arbeiten wurden in institutionellen und freien Räumen, auf Kunstmessen, an Veranstaltungsorten für Performances, auf Festivals, in Museen, auf öffentlichen Plätzen und in der Natur auf der ganzen Welt gezeigt.
Im Jahr 2023 konfrontierte er mit seinen Anti-Kriegs-Aktivitäten in Bulgarien verschiedene zivilgesellschaftliche Konstruktionen wie Ehe, Gefängnis und Medienzensur. Darüber hinaus nahm er an einer Gruppenausstellung in München teil, die vom Rosa-Stern-Kunstkollektiv organisiert wurde, beteiligte sich am Parallelprogramm der Kochi-Biennale in Indien und hatte eine Ausstellung u. a. in der Clearing-Galerie in New York und der Mazedonischen Oper und Ballett in Skopje.
DAS HAUS DES VOLKES – dieses imposante kommunistische Bauwerk erinnert an den Größenwahn des Diktators Nicolae Ceaușescu. Die Ironie des Gebäudenamens ist den Rumän*innen wohlbekannt, denn er ist eher ein kommunistischer Vorwand, um die Wahrheit zu verschleiern: Das „Haus des Volkes“ ist nicht für das einfache Volk gedacht, sondern dient vor allem der politischen Macht (derzeitiger Parlamentspalast). Jeder große Bau erfordert Opfer: 1983 befahl der Diktator die Auslöschung des Bukarester Uranus-Viertels, um mit dem Bau des „Hauses des Volkes“ zu beginnen.
Dieses Video projiziert seine „Besucher“ in das geometrische Innere des Palastes, in dem sich die menschliche Präsenz in der Umgebung zu verlieren scheint. Es ist ein Versuch, einen kalten, unpersönlichen Raum durch eine Reihe von spielerischen Gesten und verzerrten Perspektiven (wie bei einem Ritual) zu beleben. Am Ende bleiben die Fragen: Ist es eine Verschwendung von Raum? Verdient es seinen Ruf? War es das alte Viertel wert, geopfert zu werden? Wie lange wird diese „geflickte“ Konstruktion Bestand haben?
Dora Huiban, geboren 2000, ist eine aufstrebende Künstlerin, die in Bukarest, Rumänien, lebt. Sie schloss ihr Studium an der Nationalen Universität der Künste Bukarest ab. Derzeit absolviert sie einen Masterstudiengang in Bildender Kunst (Fotografie und dynamisches Bild). Ihre Projekte erforschen die Zusammenhänge zwischen Lebensräumen und Bewohner*innen (wie beeinflussen sie sich gegenseitig?) und konzentrieren sich dabei auf Metamorphose und Kontamination. Seit ihrer Kindheit ist sie von Fantasiewelten fasziniert, die ihr als Hauptinspirationsquelle dienen. Ihre künstlerische Praxis umfasst großformatige Installationen mit gefundenen Objekten, Fotografien, Experimentalfilmen oder aufgezeichneten Performances.