Kunst als Beute

Kanone von Kandy

Auf der Festplatte unter dem Bildschirm ist ein 3D-Modell der Kanone von Kandy gespeichert. Das Video zeigt den Herstellungsprozess dieses Modells. Die Originalkanone, ein Dekorationsstück, wurde 1765 aus dem Kandy-Palast im zentralen Hochland von Sri Lanka (Ceylon) geraubt. Zu dieser Zeit waren die Küstenregionen der Insel seit über 100 Jahren von der Niederländischen Ostindien-Kompanie besetzt, die den Großteil ihrer dortigen Profite durch den oft legalen Handel mit Zimt erwirtschaftete.

Während der niederländischen Kolonialherrschaft gab es mehrere Rebellionen der Bevölkerung gegen Ausbeutung und Zwangsarbeit. Mit der offenen Unterstützung des Volksaufstands von 1761 durch König Kirti Sri Rajasingha von Kandy begann ein Guerillakrieg, der mehrere Jahre andauerte. Nach dem Sieg über Kandy im Jahr 1765 wurden viele Wertgegenstände und Kulturgüter entweder geraubt oder zerstört.

Die Kolonialarmee verschiffte die Kanone in die Niederlande, wo sie der Königlichen Kunstsammlung einverleibt wurde. Auch während der Besetzung durch französische Revolutionstruppen 1795 verblieb sie im Land. Von 1825 bis 1875 lagerte die Kanone im Mauritshuis in Den Haag, bevor sie nach Amsterdam ins Rijksmuseum verlegt wurde. Nach 60 Jahren wiederholter Anfragen vonseiten Sri Lankas wurde die Kanone 2023 an ihr Ursprungsland zurückgegeben. Das digitale 3D-Modell, das Sie gerade betrachten, wird in den Niederlanden verbleiben.

Derartige digitale Reproduktionen werfen Fragen zu geistigem Eigentum und zur Autonomie von Kunstwerken und Kulturgütern auf: Sind Digitalmodelle einfach nur Kopien von Originalstücken, oder besitzen diese virtuellen Objekte einen inneren Eigenwert? Können digitale Dateien jemals einem einzelnen Eigentümer gehören oder sind sie als allgemeines Kulturerbe zu betrachten? Antworten auf diese ethischen Fragen stehen immer noch aus.

Digitales 3D-Modell der Kanone von Kandy, 2023.
2:42 Min
Jongsma + O‘Neill

Restitution

Sri Lanka forderte seit 1964 die Rückgabe der Kanone von Kandy. Die jüngste Anfrage aus dem Jahr 2022 wurde schließlich bewilligt. Am 28. August 2023 übertrugen die Niederlande offiziell das Eigentumsrecht an der Kanone auf Sri Lanka. Frühere Forderungen waren zurückgewiesen worden, weil man fälschlicherweise davon ausging, dass die Kanone ein Geschenk des Königs von Kandy an den niederländischen Statthalter gewesen sei. Diese Annahme beruhte auf einer Fehlinterpretation der Kanoneninschrift aus dem Jahr 1894. Nach gründlicher Erforschung der Provenienz des historischen Artefakts wurde die Inschrift nun im korrekten Zusammenhang betrachtet: Die Kanone war ursprünglich ein Geschenk an den König von Kandy und wurde 1765 von den Niederländern gestohlen. Da nun zweifelsfrei feststeht, dass die Kanone eine Kriegstrophäe war, wurde sie vorbehaltlos an Sri Lanka zurückgegeben.

Internationale Zusammenarbeit

Um die Geschichte der Kanone zu erforschen, war es unabdingbar, mit Experten aus Sri Lanka, Großbritannien und den Niederlanden zusammenzuarbeiten. Fachwissen über Kunst, Handwerk, Waffen und Inschriften Kandys im 18. Jahrhundert ist in den Niederlanden rar. Andererseits ist der Zugriff auf niederländische Archive für Wissenschaftler aus Sri Lanka aufgrund von Sprachbarrieren und der großen physischen Distanz schwierig. Die gemeinsame Auswertung von Fotografien der Inschriften und Verzierungen führte schließlich zu einem besseren Verständnis der Geschichte der Kanone und beantwortete offene Fragen nach ihrer Provenienz.

Historischer und künstlerischer Wert

Die Kanone weist sowohl kandische als auch europäische Merkmale auf. Die geflügelten Engel, Akanthusblätter und delfinförmigen Griffe sind Teil der ursprünglich europäischen Gestaltung aus dem 17. Jahrhundert, während die sri-lankischen Ornamente später hinzugefügt wurden. Der Stil führt unterschiedliche Einflüsse aus der Region am Indischen Ozean zusammen. Die kandischen Kunstschaffenden nahmen die europäischen Verzierungen auf und fügten eigene Motive hinzu. Da die Kanone als diplomatisches Geschenk gedacht war, ergänzten sie auch ein spezielles Dekor, das dem Empfänger viel Glück bescheren sollte. Bei der geschmückten Kanone handelt es sich um eines der wenigen verbliebenen Beispiele dieses kunstvollen Stils, daher ist sie von großer historischer Bedeutung.

Zwei Phasen

Die ursprüngliche Heimat der Kanone war der Königspalast von Kandy, wo sie zur Begrüßung von Gästen Salutschüsse abgab. Zwei ähnliche Kanonen aus demselben Palast hat das internationale Forschungsteam auf Schloss Windsor in Großbritannien entdeckt. Dank dieses Funds ist nun klar, dass die Verzierungen der Kanone, wie oben erläutert, in zwei Phasen aufgebracht wurden. Als die Kanone irgendwann zwischen 1660 und 1680 gegossen wurde, wollten die Niederlande ihren Handelsposten in Sri Lanka stärken. Daher waren gute Beziehungen zu Kandy wichtig. Möglicherweise übereignete die Niederländische Ostindien-Kompanie dem König von Kandy die Kanone als Geschenk. Die zweite Dekorschicht gab der kandische Gouverneur Lewke Disava in den 1740er-Jahren in Auftrag, fast 100 Jahre später. Diese Verzierungen sollten als Ehrenbezeugung an den König dienen, um dessen Gunst zu gewinnen. Daher wird die Kanone auch als Lewke-Kanone bezeichnet.

Vergessene Provenienz

Als die Kanone in die Niederlande kam, wurde ihre Vorgeschichte umgeschrieben. Im Kuriositätenkabinett des Statthalters Wilhelm V. wurde sie noch als Kriegstrophäe aus Ceylon bezeichnet. Später, während der französischen Herrschaft in den Niederlanden (1795–1815), galt sie plötzlich als tunesisches Kulturgut, das angeblich von Admiral Michiel de Ruyter zurückgebracht worden sei. Als die Kanone im 19. Jahrhundert im Mauritshuis ausgestellt war, stand sie in einem Raum, der der niederländischen Geschichte gewidmet war. Im Jahr 1880 wurde entdeckt, dass die Inschrift auf der Kanone in der sri-lankischen Sprache Sinhala verfasst ist, worauf hin schließlich klar wurde, dass das Objekt aus Sri Lanka stammte.

Die Objekte in der Ausstellung

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