Kunst als Beute

Stab aus Suriname

Dieser Stab ist Teil einer Sammlung von über 40 Objekten aus Suriname, die das Ethnologische Museum (früher Königliches Museum für Völkerkunde) in Berlin 1901 von dem deutschen Reisenden Paul Körner erwarb. Die Dokumentation zum Stab verrät, dass er aus einem Raub stammt, verübt durch den Ladenangestellten in der Missionsstation Wanhatti, an einem Dorfbewohner, der nichtsahnend den Laden betrat. Der Eigentümer und vielleicht auch Hersteller des Stabs gehörte zu den Ndyuka, eine Gruppe sogenannter Maroons, die vor der Sklaverei auf den Plantagen geflohen waren, um sich im Hinterland von Suriname, im nördlichen Südamerika, eine Existenz aufzubauen. Die genaue Bedeutung es Stabs ist noch unbekannt. Die doppelseitige Figur stellt vermutlich eine Ahnin dar, die Unterteilungen stehen für die Clans der Ndyuka.

Die protestantische Herrnhuter Brüdergemeine war von Anfang an bestrebt, ihren Glauben durch verschiedene Missionen weltweit zu verbreiten. Unter der niederländischen Kolonialherrschaft waren die Herrnhuter in Suriname sehr aktiv, wo sie die Sprachen und Bräuche der einheimischen Bevölkerung erforschten, aber auch Plantagen betrieben, um ihre Aktivitäten zu finanzieren. Der Einsatz versklavter Menschen war hier die Regel. Aufgrund ihrer regionalen Aktivitäten und Kontakte waren die Missionare nützliche Vermittler für europäische Museen, die ethnografische Sammlungen anlegen wollten. Im Laufe des 19. Jahrhunderts begannen sie, nicht immer legal, systematisch Objekte und Kunstwerke für den Export zu sammeln. Viele, hauptsächlich religiöse Gegenstände wurden gestohlen, um die Menschen an der Ausübung ritueller Praktiken zu hindern, oder sie wurden von frisch Bekehrten übergeben.

Der Dokumentarfilm, den Sie in der Ausstellung sehen können, zeigt den Dichter Onias Landveld, dessen Onkel mütterlicherseits ein Chief in der Region Wanhatti ist. Nach Onias’ Wiederbegegnung mit dem Stab begann eine vertiefte Recherche und neue Beziehung zwischen den Maroons und dem Ethnologischen Museum.

Dokumentarfilm über den Stab aus Suriname, 2023
4:04 Min
Jongsma + O’Neill

Die Maroons

„Maroons“ ist ein Oberbegriff für verschiedene ethnische Gruppen in Suriname. Die größten sechs sind die Ndyuka, die Saamaka, die Aluku, die Kwinti, die Matawai und die Paamaka. Sie alle sind Nachkommen ehemalig versklavten Menschen, die von den Plantagen geflohen waren. Um einer erneuten Gefangennahme durch die Niederländer zu entgehen, ließen sich die Maroons in den unzugänglichen Wäldern Surinames nieder, wo sie Seite an Seite mit der indigenen Bevölkerung lebten. Kunst, Religion und Bräuche der Maroons spiegeln sowohl afrikanische als auch indigene Einflüsse und Kulturen wider, sie beinhalten aber auch ganz eigenständige Elemente.

Holzschnitzerei

Holzschnitzerei spielt in der Kultur der Maroons eine bedeutende Rolle. Mitte des 19. Jahrhunderts begannen Männer, geschnitzte Bänke, Kämme, Rührstäbe, Kanus und Paddel mit Gravuren und Reliefs zu verzieren. Anfangs betrachtete die amerikanische und europäische Forschung dies als rein afrikanische Kunstform, aber heute ist klar, dass die Holzkunst der Maroons eigene stilistische Merkmale aufweist. Darüber hinaus gibt es große regionale Unterschiede zwischen den einzelnen Maroon-Gemeinschaften in Bezug auf Formensprache und Handwerkskunst. Die Ndyuka tendieren beispielsweise zu figürlichen Motiven wie Eidechsen, Schlangen, Vögeln und Menschen.

Stab

Es erwies sich als kompliziert, die Bedeutung dieses Stabs für seinen ursprünglichen Besitzer zu ermitteln, da die verfügbaren Informationen begrenzt sind. Viele Artefakte der Maroons wurden ihren Ersteigentümern gestohlen, wodurch signifikantes Wissen verloren ging. Bisher wurden keine ähnlichen Stäbe entdeckt, die tieferen Einblick in die Geschichte des Objekts geben könnten. Allerdings kamen mehrere Experten anhand seiner stilistischen Merkmale – beispielsweise der groben Konturen – zu dem Schluss, dass diese auf ein sehr altes Schnitzwerk hinweisen. Bemerkenswert sind die auf Gesicht, Bauch und Beinen der Frauenfigur eingravierten Punkte, die Ziernarben darstellen könnten, eine übliche Form des Körperschmucks bei Frauen der Maroons.

Die Herrnhutter Brüdergemeinde in Wanhatti

In Suriname siedelten sich 1735 die Herrnhutter Missionare an, mit dem Ziel, die Bevölkerung zum Christentum zu bekehren. Von 1892 bis 1907 waren sie im Dorf Wanhatti tätig. Obwohl die Herrnhuter Brüder viel Zeit investierten, ein Vertrauensverhältnis zur lokalen Bevölkerung aufzubauen, erwies sich die Bekehrung trotzdem als äußerst schwierig. In ihren jährlichen Berichten schilderten die Missionare, wie sie manchmal den Mut verloren, weil die Ndyuka an ihren eigenen Ritualen festhielten. Da die Herrnhutter „heidnische Götzen“ als Hindernis auf dem Weg zur Christianisierung betrachteten, konfiszierten sie diese: manche Gegenstände entwendeten sie mit Gewalt, in anderen Fällen nutzten sie gar Betäubungsmittel.

Die Objekte in der Ausstellung

Gehört zu
Kunst als Beute. 10 Geschichten