Dieser Artikel ist Teil des Features „Was soll das? Das Kreuz auf dem Humboldt Forum

Symbolpolitik. Die Kuppel Friedrich Wilhelms IV. für das Berliner Schloss

19 Min Lesezeit

Die Kuppel über der Westfassade des Berliner Schlosses war kein Teil der barocken Bauphase, sondern eine Ergänzung der Jahre 1845–1853. Der Auftraggeber, König Friedrich Wilhelm IV., ließ seine sehr klaren Vorstellungen für dieses Projekt von Friedrich August Stüler ausführen. Doch welche Motivation stand hinter diesem Kuppelbau? Eine historische Einordnung.

Es gehört zum kleinen Einmaleins des Städtebaus, dass das höchste, die Silhouette einer Stadt prägende Gebäude mit der Bedeutung seiner Erbauer gleichgesetzt wird. In Berlin kann man das Ringen um diese Dominanz im Stadtbild vom 18. bis ins 20. Jahrhundert verfolgen. Schaute man beispielsweise seit 1871 die Straße Unter den Linden hinab, fiel nicht die Schlosskuppel als erstes in den Blick, sondern der Turm des Roten Rathauses. Deshalb gab es bei seinem Bau heftige Debatten, ob das Rathaus der bürgerlichen Kommune höher sein dürfe als die Kuppel des Königspalastes. Ebenso erboste es in den 1890er Jahren Kaiser Wilhelm II., dass der Reichstag die Schlosskuppel überragen sollte – und ließ den Berliner Dom errichten, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin alles in den Schatten stellte. Man kann argumentieren, dass erst der Bau des Fernsehturms 1969 das Ringen um die Höhendominante bis auf Weiteres entschieden hat. Im Kern ging es in allen Fällen um die Frage, wer Berlin seinen Stempel aufdrücken durfte.

Man sollte vermuten, dass sich diese Frage im 18. Jahrhundert gar nicht stellte. Was, wenn nicht das Königsschloss, könnte die Stadtansicht von Berlin dominieren? Doch zeigen Ansichten aus dieser Zeit, dass die Stadt keine klare Höhendominante aufwies, sondern wie seit dem Mittelalter von der Vielzahl der Kirchtürme geprägt wurde. Diese Situation war das Ergebnis unglücklicher Umstände. Die Planungen für das neue königliche Schloss, das Friedrich I. von Andreas Schlüter ab 1698 erbauen ließ, sahen mit dem Münzturm eine eindeutige Höhendominate vor. Mit einer für damalige Verhältnisse gewaltigen Höhe von über 90 Metern hätte er alle anderen Türme Berlins überragt und klar markiert, wo man das Zentrum der Stadt zu suchen hatte. Doch auf halber Höhe angekommen, begann sich der Turm zu neigen und musste 1706 abgerissen werden. Dieses peinliche Desaster war das Ende der Karriere Schlüters. Auch sein Nachfolger Johann Friedrich Eosander plante über dem Triumphbogen des Westportals einen gewaltigen Kuppelturm, der sogar über 100 Meter hoch geworden wäre – er wurde jedoch aus Kostengründen nie ausgeführt. So blieb das Schloss für 150 Jahre ein horizontal lagernder Block, der aus der Ferne kaum auszumachen war. Das Schloss war nicht nur architektonisch ein Torso geblieben, sondern entsprach auch städtebaulich nicht seiner gesellschaftlichen Bedeutung.

Der Bauherr

Den Bewohnern des Schlosses war das durchaus bewusst. Friedrich Wilhelm IV. (1795–1861) befasste sich schon als Kronprinz in den 1820er Jahren intensiv mit Planungen für die Umgestaltung des Schlossbezirks in Berlin. Der architekturbegeisterte Thronfolger empfand die Situation sowohl städtebaulich als auch symbolisch als mangelhaft. Es sind zahlreiche Skizzen des Prinzen erhalten, die die Idee einer neuen Höhendominate im Berliner Zentrum verfolgen. Dabei ging es nie um eine rein formale Lösung. Es ist bezeichnend, dass der Kronprinz nicht an einer Umsetzung der gescheiterten Turmplanungen des 18. Jahrhunderts interessiert war. Diese Turmprojekte waren rein weltliche Triumphgesten, wie die von Schlüter und Eosander geplanten oberen Abschlüsse verdeutlichen: Beide sahen monumentale weibliche Figuren vor, die die preußische Königskrone erhoben und gleichzeitig als Windfahne dienen sollten. Wie in der gesamten Ikonographie des barocken Schlosses ging es also um die Feier der Königserhebung der Hohenzollern.

Friedrich Wilhelm hingegen wollte mit der städtebaulichen Hervorhebung des Schlosses durch eine Kuppel eine andere Aussage treffen – die Kuppel sollte die Schlosskapelle beherbergen und damit das ganze Schloss in einen sakralen Bezug stellen. Ziel aller Planungen war die Schaffung eines Forums rund um den Lustgarten, in dem neben Monarchie (Schloss), Militär (Zeughaus) und Kultur (Museum) auch die Rolle der Religion im Staat angemessen zum Ausdruck gebracht werden sollte. So zeigen die Zeichnungen sowohl erste Ideen für eine Kuppel über dem Westportal des Schlosses als auch zahlreiche Planungen für einen Domneubau.

Um die Rolle der Schlosskapelle zu verstehen, lohnt sich ein Blick nach Potsdam. Als Friedrich Wilhelm 1840 König geworden war, trieb er Planungen für einen Kirchenbau im Park Sanssouci voran. Der König schätzte Sanssouci als künstlerische Schöpfung seines Vorfahren Friedrichs II. (des Großen) außerordentlich, empfand aber das völlige Fehlen christlicher Elemente als großes Manko. In einer hochsymbolischen Geste ließ er daher am 14. April 1845, auf den Tag einhundert Jahre nach der Grundsteinlegung von Sanssouci, den Bau der Friedenskirche am Fuß des Hügels von Sanssouci beginnen. Zur Programmatik äußerte er sich dazu im selben Jahr:

„Es scheint mir zu passen, eine Kirche, welche zu einem Pallast-Bezirk gehört, der den Namen Sans-Souci, ohne Sorge, trägt, dem ewigen Friedensfürsten zu weihen und so das weltlich Negative ,ohne Sorgen‘, dem geistlich Positiven ,Frieden‘ entgegen oder vielmehr gegenüber zu stellen.“

Der Bau der Friedenskirche war demzufolge als eine Art „Heilung“ von Sanssouci zu verstehen: Begnügte sich Friedrich II., der aufgeklärte, religiös skeptische Erbauer Sanssoucis, mit einem weltlichen „Ohne-Sorge-Sein“, so vertraute sein zutiefst religiöser Nachfahre auf einen höheren göttlichen Frieden. So ist es kein Zufall, dass der Turm der Kirche so platziert wurde, dass sein goldenes Kreuz von der Terrasse des Schlosses Sanssouci zu erkennen war. Und es ist konsequent, dass Friedrich Wilhelm die Friedenskirche auch zu seiner Grabstätte bestimmte – als Gegenpol zu dem Plan Friedrichs II., sich in einem ungeweihten Grab auf der oberen Terrasse von Sanssouci begraben zu lassen.

Diese symbolische Durchdringung des Bauprojekts in Potsdam steht exemplarisch für das Denken Friedrich Wilhelms IV. Seine Bauten dienten nie nur einer ästhetischen Verschönerung, sondern waren stets komplexe Bedeutungsträger, die das Weltbild und die Überzeugungen des Königs zum Ausdruck brachten. Aufgrund seiner eigenen künstlerischen Ambitionen war Friedrich Wilhelm in der Lage, seine Bauprojekte bis ins Detail auszuarbeiten – eine Arbeit, die für ihn zutiefst politisch war. Denn der König gehörte zu denjenigen, die, wie Gerd-H. Zuchold 2010 resümierte, glaubten, Architektur könne die Gesellschaft verändern: „Er wollte eine Begeisterung für den christlichen Glauben […] in seiner Gegenwart neu beleben, und diese Begeisterung sollte durch die Wiederbelebung der Formensprache der frühchristlichen Architektur auch einen neuen architektonischen Ausdruck erhalten.“

Die Schlosskapelle

Vor diesem Hintergrund ist es plausibel, den gleichzeitig im April 1845 begonnenen Bau der Berliner Schlosskapelle als Parallele zur Friedenskirche zu verstehen. Auch das Residenzschloss in der Hauptstadt musste dem König allzu weltlich erscheinen. Ikonographie und Schmuck des Gebäudes brachten kaum eine Verbindung von Gott, Thron und Kirche zum Ausdruck, sondern feierten in heraldischer und aus der Antike entlehnter Form die Leistungen der Erbauer. Die mittelalterliche Schlosskapelle war unterdessen von Friedrich II. mit einer Zwischendecke längst profaniert worden, während die von Friedrich I. geplante barocke Schlosskapelle von seinem Sohn zugunsten des Weißen Saals an gleicher Stelle eingespart worden war. Die Hauptresidenz der Könige von Preußen stand also im frühen 19. Jahrhundert ohne sakralen Raum da.

Nicht zufällig wählte Friedrich Wilhelm schon als Kronprinz die gotisch gewölbten Reste der alten Schlosskapelle zu seinem persönlichen Arbeitszimmer, um seine tiefe Verbindung zu den sakralen Traditionen des Ortes zu betonen. Nachdem er 1840 die Regierung angetreten hatte, konnte er aber endlich auch die Überlegungen umsetzen, das Schloss mit einer Kapelle über dem Westportal zu komplettieren. Die Lage war in mehrfacher Hinsicht ideal: Als weithin sichtbare Kuppel konnte sie die Residenz endlich im Berliner Stadtraum hervorheben. Gleichzeitig bildete sie den feierlichen Endpunkt für die zeremoniellen Abläufe im Inneren des Schlosses. Die Paradekammern führten bisher vom Schweizer Saal an der Spreeseite des Schlüterhofes, über den Rittersaal und die Bildergalerie im Lustgartenflügel zum Weißen Saal auf der Westseite. Nun konnten sie weiter in den erhöht gelegenen feierlichen Kuppelraum der Kapelle geführt werden. Ganz im Sinne des Königs war nun die Kirche der Zielpunkt höfischen Handelns und nicht mehr ein profaner Festsaal.

In ähnlich symbolischer Weise kann man auch die Gestaltung der Kapelle lesen. Schon die Grundform eines achteckigen überkuppelten Zentralbaus lehnt sich an Vorbilder wie die Geburtskirche in Bethlehem an, die der König besonders schätzte. Sie entstand unter dem römischen Kaiser Konstantin, dem Begründer der Staatskirche, und verkörperte für Friedrich Wilhelm in idealer Weise die enge Bindung von Monarch und Christus. Die prachtvolle künstlerische Ausstattung der Berliner Kapelle unterstrich diesen Aspekt: Die tragenden Pfeiler der Kuppel wurden mit 96 Bildnissen von Männern und Frauen bemalt, die zum Aufbau der christlichen Kirche beigetragen hatten – auf deren Schultern also im übertragenen Sinne das Gebäude der Kirche ruhte. Die Gruppe begann mit Aposteln, Propheten und Märtyrern. Darauf folgten christliche Monarchen des Mittelalters und – folgerichtig in einer protestantischen Kirche – Reformatoren des 16. Jahrhunderts. Der Reigen schloss mit einer Gruppe von Mitgliedern des Hauses Hohenzollern: von Kurfürst Friedrich II. über Joachim II., dem Begründer der Reformation in Brandenburg, bis zum Vater des Erbauers, Friedrich Wilhelm III. Die Kapelle war somit ein Denkmal der christlichen Herrschaft der Dynastie, die ganz selbstverständlich als Teil der 2000-jährigen Heilsgeschichte dargestellt wurde.

Diese Botschaft richtete sich an die Nutzerinnen und Nutzer der Kapelle, die königliche Familie und die Hofgesellschaft. Sie sollten so an ihre Verantwortung für die Aufrechterhaltung der Kirche und des Glaubens erinnert werden.

Zu diesem Verständnis der Kapelle als dynastisches Denkmal passt auch die Inszenierung ihrer Fertigstellung. Obwohl sich die letzten Arbeiten an der Innenausstattung noch bis 1854 hinzogen, setzte der König alles daran, dass die Kapelle bereits am 18. Januar 1851 erstmals genutzt werden konnte. Dieses Datum markierte das 150. Jubiläum der Krönung Friedrichs I. zum ersten König in Preußen im Jahr 1701. Mit hohen Kosten wurde die Kapelle provisorisch nutzbar gemacht, damit Friedrich Wilhelm nun nicht mehr auf eine angemessene Kirche für die Feierlichkeiten verzichten musste und das Schloss seiner Vorfahren sowohl baulich als auch programmatisch vollendet präsentieren konnte.

Auch das bereits im Herbst 1848 weitgehend fertiggestellte Äußere der Kapelle war bedeutungsvoll gestaltet – doch richtete sich die Botschaft weniger an den Hof als an die ganze Gesellschaft. Es entstand ein umfangreiches Bildprogramm, das dem bisher aus antiken Göttern, Helden, Musen und Genien bestehenden Skulpturenschmuck des Schlosses nun auch eine christliche Thematik hinzufügte. Auf den Ecken des Kuppelunterbaus wurden Darstellungen alttestamentarischer Propheten platziert, während auf den Portalen christliche Tugenden vorgesehen waren – diese wurden allerdings erst unter Wilhelm I. ausgeführt. Den oberen Abschluss der Kuppel bildete die Laterne, die von Engelsgestalten getragen wurde. Mit gefalteten Händen, Schriftbändern und Kelch präsentieren sie Symbole des Glaubens. Die Laterne wiederum wurde von einem 4,70 Meter hohen vergoldeten Kreuz bekrönt. Die neue Höhendominante des Schlosses war also nicht durch weltliche Zeichen der Monarchie ausgezeichnet, sondern durch Zeichen des Glaubens und der Herrschaft Gottes. Das betont auch die Inschrift, die am Fuß der Kuppel umlaufend angebracht wurde. Aus mehreren Bibelstellen (Apostelgeschichte IV, 12 und Philipper II, 10) montierte Friedrich Wilhelm IV. selbst den Text:

„Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“

So verwundert es nicht, wie stark dieses Kreuz mit der Person des Königs verknüpft wurde. Die Königliche priviligirte Berlinische Zeitung von Staats- und Gelehrtensachen berichtet am 15. Oktober 1848: „Gestern Abend wurde auch die Hülle von dem goldenen Kreuz auf der Schlosskapelle abgenommen, damit dasselbe heut am Geburtstag des Königs von dem neuen Bau herabstrahle“.

 

Die politische Dimension

Beim Bau der Schlosskapelle ging es – bei aller unbezweifelten persönlichen Frömmigkeit des Königs – also keineswegs um den Glauben als eine „Privatsache“ Friedrich Wilhelms, sondern um die christliche Religion als ein Prinzip der gesellschaftlichen Ordnung.

Es ist ein altes Missverständnis, die Regierungszeit Friedrich Wilhelms IV., des „Romantikers auf dem Thron“, zu entpolitisieren, weil er zeichnete und baute statt Kriege zu führen. Eine ganze Reihe von Studien haben seit Langem herausgearbeitet, wie tief die Bauten des Königs mit seinem politischen Handeln als Monarch verbunden waren. Und das trifft auf die Schlosskapelle in ihrer Entstehungszeit vor und nach der Revolution von 1848 in besonderem Maße zu. Die Inschrift betont ganz ausdrücklich den universellen Herrschaftsanspruch des Christentums. Und dieser war für Friedrich Wilhelm zugleich Grundlage seiner eigenen uneingeschränkten Souveränität als Herrscher. Die Hohenzollern sahen nach den Umwälzungen der Französischen Revolution und der Befreiungskriege die Legitimation ihrer Herrschaft massiv in Frage gestellt. Dem stellte Friedrich Wilhelm IV. eine umso fundamentalere Betonung des Gottesgnadentums entgegen: Kirche, Staat und Volk sollten zu einer Einheit zurückfinden, die Aufklärung und Revolution zerstört hatten. Jede Infragestellung des Christentums bedeutete für Friedrich Wilhelm daher auch eine konkrete Bedrohung seiner Herrschaft. Der König macht das ganz deutlich, wenn er schreibt:

„Die Frechheit der Feinde des Evangelii wird nachgerade zu stark. Es muß und soll aufs würdigste und allerentschiedenste gegen sie eingeschritten werden […], wo immer der Abfall von Gott vorbereitet wird, um bald darauf vom König abfallen zu können.“

Friedrich Wilhelm war keineswegs paranoid. Wenn auch die Institution der Monarchie in den 1840er Jahren nur von einer Minderheit der Bevölkerung grundsätzlich in Frage gestellt wurde, so gab es doch eine mehrheitliche Überzeugung, dass ihre Legitimation auf das Recht und eine Verfassung begründet sein müsse. Die Wurzeln dieses Konflikts reichen bis in die Kindheit des Königs zurück. Die Herrschaft Napoleons über Preußen von 1807 bis 1813 war aus Sicht der Bürgerschaft nicht durch das Handeln der Hohenzollern beendet worden, sondern durch einen Freiheitskampf des Volkes, dem sich Friedrich Wilhelm III. nur zögerlich und spät angeschlossen hatte. Dem Bürgertum hatten diese Ereignisse die eigene Macht vor Augen geführt. Gleichzeitig trat eine große Enttäuschung über die traditionelle Staatsform ein, da der König diese Rolle des Volkes nicht anerkennen wollte. Zwei 1810 und 1815 gemachte Versprechen, eine Verfassung für Preußen zu erlassen, erfüllte er nicht. Da auch die Bundesakte des Deutschen Bundes von 1815 alle deutschen Staaten verpflichtete, eine Verfassung zu verabschieden, rückte die damit völlig legitime Verfassungsfrage in den nächsten Jahrzehnten ins Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen alten Eliten und Bürgertum.

Friedrich Wilhelm IV. hatte diesbezüglich eine eindeutigere Haltung als sein Vater. Bei der Eröffnung des Ersten Vereinigten Landtages 1847 sagte er:

„es [soll] keiner Macht der Erde gelingen […], Mich zu bewegen, das natürliche, gerade bei Uns durch seine innere Wahrheit so mächtig machende Verhältniß zwischen Fürst und Volk in ein conventionelles, constitutionelles zu wandeln, und daß Ich es nun und nimmermehr zugeben werde, daß sich zwischen Unsern Herr Gott im Himmel und dieses Land ein beschriebenes Blatt, gleichsam eine zweite Vorsehung eindränge, um Uns mit seinen Paragraphen zu regieren und durch sie die alte, heilige Treue zu ersetzen.“

Diese unmissverständliche Abwertung des konstitutionellen Prinzips gegenüber dem Gottesgnadentum als dem „heiligen“ Fundament des Staates machte den gleichzeitigen Bau der Kapelle als demonstrative Bekrönung des Berliner Residenzschloss zu einer hochpolitischen Geste und Provokation. Dass die Bevölkerung die Politik des Königs genauso verstand, zeigt die präzise Zusammenfassung des Schriftstellers Ernst Dronke von 1846:

„Der gegenwärtige König will die reinpersönliche Herrschaft (Absolutismus) auf dem Glauben des theologischen Christentums der Vorväter herstellen. […Dieses] christliche Prinzip hat im gegenwärtigen König seinen höchsten, potenzirten Ausdruck erreicht, eine weitere Stufe ist nicht mehr möglich; der König wird das christliche Prinzip vor der Bildung und der Erkenntnis der Massen für immer zu Grabe tragen.“

Dieses Gefühl, etwas völlig Überholtes, Altes und Unrechtes abschütteln zu müssen, war sehr stark – und brach sich schließlich in der Revolution 1848 Bahn. Eine eindrückliche zeitgenössische Darstellung hält die Situation fest: Während vor dem Schloss die Truppen des Königs in langen Reihen auf die protestierenden Bürger und Bürgerinnen zumarschieren, erhebt sich über der Szene das gewaltige Gerüst der neuen Schlosskapelle, deren Umrisse bereits schemenhaft zu erkennen sind – auch Preußens Zukunft war zu diesem Zeitpunkt eine Baustelle. Würde die alte Welt der Herrscher von Gottes Gnaden wiedererstehen, oder war noch ein Umbau zu einer demokratisch legitimierten, konstitutionellen Monarchie möglich?

Das Ende ist bekannt – ein 1848/49 zum Greifen nahes, demokratisch verfasstes Deutschland scheiterte nicht zuletzt an der Weigerung Friedrich Wilhelms IV., die vom Frankfurter Parlament legitimierte Kaiserkrone anzunehmen. Während in der Paulskirche über die deutsche Verfassung debattiert wurde, ließ der König im Oktober 1848 demonstrativ das Kreuz auf der fertiggestellten Kapelle enthüllen. Doch trotz dieser auftrumpfenden Geste blieb auch für den König zwischen Anspruch und Wirklichkeit ein weiter Abstand. Zähneknirschend musste er am 5. Dezember 1848 eine preußische Verfassung erlassen. Sie war zwar keineswegs demokratisch legitimiert und gab dem König weitgehende Rechte. Doch andererseits schrieb sie erstmals Grundrechte fest und gab dem Landtag wichtige Kompetenzen in der Budgetplanung.

Und so scheiterte an dieser neuen Verfassung das andere große Bauprojekt Friedrich Wilhelms IV. am Berliner Lustgarten: der schon im Bau befindliche neue Dom, eine gewaltige Basilika mit integrierter Grablege der Hohenzollern, wurde nie fertiggestellt. Das Parlament bewilligte keine Mittel mehr für ein weiteres Symbol des Gottesgnadentums. Frustriert zog sich Friedrich Wilhelm zunehmend aus dem Berliner Schloss zurück und wohnte fortan abwechselnd in Sanssouci und Schloss Charlottenburg. In der Bauruine des Domes wuchs derweil für vierzig Jahre, bis 1893, „das theureste Gras“ der Hauptstadt, wie die Berliner spotteten.

Autor*in
Foto von Alfred Hagemann
Alfred Hagemann

Dr. Alfred Hagemann ist Leiter des Bereichs Geschichte des Ortes der Stiftung Humboldt Forum. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Architektur- und Kulturgeschichte des Berliner Hofes im 18. Jahrhundert, historische Frauenforschung und die staatliche Selbstdarstellung der DDR. Der Kunsthistoriker hat in den letzten fünfzehn Jahren eine Reihe kulturhistorischer Ausstellungen zur Geschichte Preußens und der DDR in Berlin und Potsdam kuratiert.